Manchmal ist es besser auf den Pflichtteil verzichten
Frage: Herr Kirchhof, viele Menschen stehen nach dem Tod eines Angehörigen vor der Frage: Soll ich meinen Pflichtteil geltend machen oder nicht? Wann ist das überhaupt sinnvoll?
Rechtsanwalt Kirchhof: Der Pflichtteil ist grundsätzlich dazu gedacht, den nächsten Angehörigen – etwa Kinder, Ehepartner oder Eltern – vor einer vollständigen Enterbung zu schützen. Wenn man also im Testament nicht bedacht oder nur mit einem kleinen Vermächtnis berücksichtigt wurde, kann es durchaus sinnvoll sein, den Pflichtteil zu verlangen.
Entscheidend ist aber immer die wirtschaftliche Situation des Nachlasses. Wenn Vermögen vorhanden ist – Immobilien, Bankguthaben oder wertvolle Gegenstände – kann der Pflichtteilsanspruch eine gerechte finanzielle Beteiligung sichern. Besteht jedoch der Verdacht, dass der Nachlass überschuldet ist, sollte man sehr genau prüfen, ob sich der Aufwand lohnt.
Frage: Welche Risiken bestehen, wenn man den Pflichtteil bei einemüberschuldeten Erbe geltend macht?
Rechtsanwalt Kirchhof: Das Hauptrisiko liegt darin, dass der Anspruch zwar rechtlich besteht, aber tatsächlich nicht durchsetzbar ist. Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch gegen den oder die Erben. Wenn der Nachlass aber keine Mittel enthält oder die Erben das Erbe ausgeschlagen haben, läuft die Forderung ins Leere.
Hinzu kommt, dass die Geltendmachung eines Pflichtteils oft mit Kosten verbunden ist– etwa für anwaltliche Beratung, Nachlassbewertung oder gerichtliche Schritte. Wenn der Nachlass am Ende nichts hergibt, bleibt der Pflichtteilsberechtigte auf diesen Kosten sitzen. Deshalb rate ich dringend, vorab eine wirtschaftliche Einschätzung des Nachlasses einzuholen.
Frage: Gibt es Fälle, in denen Sie ausdrücklich empfehlen, vom Pflichtteilsanspruch abzusehen?
Rechtsanwalt Kirchhof: Ja, absolut. Wenn der Nachlass hoch verschuldet ist oder keine werthaltigen Vermögensgegenstände enthält, ist es meist besser, auf den Pflichtteil zu verzichten. Auch in familiär angespannten Situationen kann es klug sein, auf juristische Auseinandersetzungen zu verzichten – etwa wenn dadurch Beziehungen endgültig zerstört würden oder der Verstorbene dies zu Lebzeiten ausdrücklich so gewollt hat.
Manchmal ist es auch strategisch sinnvoll, zunächst abzuwarten: Pflichtteilsansprüche verjähren erst nach drei Jahren. In dieser Zeit kann sich die Vermögenslage des Nachlasses klären, was eine fundiertere Entscheidung ermöglicht.
Frage: Und wann würden Sie sagen: Jetzt ist der richtige Moment, den Pflichtteil geltend zu machen?
Rechtsanwalt Kirchhof: Immer dann, wenn ein klarer finanzieller Anspruch besteht und die Erben nicht bereit sind, freiwillig eine faire Lösung zu finden. Das betrifft zum Beispiel Fälle, in denen große Vermögenswerte vorhanden sind, aber bestimmte Angehörige bewusst enterbt wurden. Auch wenn es Anzeichen für ungleiche oder ungerechte Verteilungen gibt – etwa wenn ein Geschwisterkind zu Lebzeiten große Schenkungen erhalten hat –, sollte man seinen Pflichtteil prüfen lassen.
Ich rate auch dazu, aktiv zu werden, wenn der Pflichtteilsanspruch als Druckmittel in Verhandlungen genutzt werden kann, um eine gütliche Einigung zu erzielen. Oft lässt sich ein Kompromiss finden, ohne dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt.
Frage: Viele scheuen den Schritt zum Anwalt, weil sie glauben, das sei kompliziert oder teuer. Wann lohnt sich eine anwaltliche Beratung?
Rechtsanwalt Kirchhof: Immer dann, wenn Unsicherheit besteht. Ein erfahrener Anwalt kann innerhalb kurzer Zeit einschätzen, ob der Pflichtteil wirtschaftlich Sinn ergibt und welche Beweise erforderlich sind. Ich sehe meine Aufgabe darin, Mandanten ehrlich zu beraten – also auch davon abzuraten, wenn die Geltendmachung mehr kostet, als sie bringt.
Gerade bei unklaren Nachlässen oder unvollständigen Informationen über Vermögenswerte ist professionelle Unterstützung entscheidend. Der Pflichtteilsanspruch ist zwar gesetzlich geschützt, aber er wird nicht automatisch erfüllt. Ohne fundierte Kenntnis der Rechtslage riskiert man, Zeit, Geld und Nervenzu verlieren.
Frage: Gibt es Alternativen, wenn man auf den Pflichtteil verzichtet, aber trotzdem nicht leer ausgehen möchte?
Rechtsanwalt Kirchhof: Ja, in vielen Fällen ist eine außergerichtliche Einigung die bessere Lösung. Man kann etwa einen Vergleich schließen, der eine geringere Zahlung oder bestimmte Vermögenswerte vorsieht, dafür aber sofort und ohne Streit. Auch ein Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung ist möglich – etwa zu Lebzeiten des Erblassers, wenn dieser eine faire Regelung treffen will.
Solche Lösungen schaffen oft mehr Frieden und Rechtssicherheit als eine strikte Durchsetzung des Pflichtteils vor Gericht.
Frage: Ihr abschließender Rat an Menschen, die sich unsicher sind, ob sie den Pflichtteil beantragen sollen?
Rechtsanwalt Kirchhof: Mein Rat ist: Nie aus dem Bauch heraus entscheiden. Der Pflichtteil ist ein starkes Recht, aber kein Automatismus. Wer ihn geltend macht, sollte wissen, was auf dem Spiel steht– rechtlich, finanziell und familiär. Eine ruhige, sachliche Beratung ist der erste Schritt, um eine Entscheidung zu treffen, die langfristig trägt.
Am Ende geht es immer darum, die richtige Balance zu finden: zwischen Gerechtigkeit, wirtschaftlichem Nutzen und familiärem Frieden. Genau dabei begleite ich meine Mandanten in Berlin – mit Erfahrung, Weitsicht und dem nötigen Fingerspitzengefühl.
Categories: Allgemein
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