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Krankenversicherung: Pflicht mit großen finanziellen Risiken

 

Redaktion:
Herr Engel, wie viele Menschen haben in Deutschland aktuell keine Krankenversicherung?

Jörg Engel:
Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts aus dem Mikrozensus 2023 waren rund 72.000 Menschen in Deutschlandüberhaupt nicht krankenversichert und hatten auch keinen sonstigen Anspruch auf medizinische Versorgung. Das entspricht zwar weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung, ist aber dennoch eine relevante Zahl. Man darf zudem nicht vergessen: Diese Statistik erfasst nur Personen mit Meldeadresse. Obdachlose oder nicht registrierte Menschen tauchen darin oft gar nicht auf. Die tatsächliche Zahl dürfte also höher liegen.

Redaktion:
Wie kann esüberhaupt dazu kommen? Kündigen Krankenkassen ihren Mitglieder die Verträge, wenn Beiträge nicht gezahlt werden?

Jörg Engel:
Nein: Eine Nichtversicherung entsteht nicht durch Kündigung seitens der Krankenkassen. Aufgrund der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht ist eine Kündigung durch die Kasse ausgeschlossen. In der Realität geraten Menschen vielmehr durch Übergänge oder bürokratische Hürden in eine Versicherungslücke – oft ohne eigenesVerschulden.

Redaktion:
Welche Situationen führen typischerweise zu einer solchen Lücke?

Jörg Engel:
Sehr häufig sind Statuswechsel der Auslöser, bei denen die Versicherung nicht automatisch weiterläuft. Beispiele sind das Ende einer selbstständigen Tätigkeit, der Wechsel von Selbstständigkeit in Arbeitslosigkeit, die Rückkehr aus dem Ausland oder ein Jobverlust ohne sofortige Meldung bei den Behörden. In all diesen Fällen muss man selbst aktiv werden – und genau das passiert oft nicht rechtzeitig.
Manchmal gehen Arbeitnehmer nach einer Kündigung davon aus schnell wieder einen Job zu finden und melden sich daher nicht als arbeitssuchend beim Jobcenter. Sie sind so lange unversichert bis Sie wieder eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen oder sich selbst krankenversichern.

Redaktion:
Wer studiert ist in der Regel automatisch versichert. Wieso gibt es trotzdem häufig für diese jungen Menschen ein Problem?

Jörg Engel:
Studierende gehen oft davon aus,„automatisch“ versichert zu sein. Das stimmt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die studentische Krankenversicherung gilt höchstens bis zum 30. Lebensjahr oder bis zum 14. Fachsemester. Danach endet sie automatisch und es besteht die Pflicht zur freiwilligen Versicherung. Wer diesen Wechsel nicht aktiv organisiert, fällt schnell aus dem System.
Auch Studienunterbrechungen, verspätete Rückmeldungen oder eine Exmatrikulation können den Versicherungsstatus beenden – oft unbemerkt. Problematisch wird es außerdem, wenn Studierende nebenbei selbstständig arbeiten, etwa als Freelancer oder im Online-Bereich. Wird die Tätigkeit als hauptberuflich eingestuft,entfällt der Studententarif, die Beiträge steigen stark – und viele können oder wollen sie nicht mehr zahlen.

Redaktion:
Was droht Menschen, die nicht krankenversichert sind? Gibt es Strafen?

Jörg Engel:
Nein, es gibt keine direkten Strafen wie Bußgelder oder Strafverfahren. Der Gesetzgeber setzt nicht auf Sanktionen, sondern auf die sogenannte Nachversicherungspflicht. Das bedeutet: Wer sich später wieder anmeldet, muss Beiträge rückwirkend zahlen – teilweise für mehrere Jahre.

Redaktion:
Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Jörg Engel:
Nehmen wir jemanden, der nach dem Studium vergessen hat, sich zu versichern, und sich erst Jahre später wieder bei einer gesetzlichen Krankenkasse anmeldet. Die Versicherungspflicht beginnt ab dem Ende der studentischen oder familiären Versicherung. Es gibt keine feste Obergrenze für Nachzahlungen.

Beispiel: Studienende im Oktober 2019, Anmeldung im Oktober 2025– das bedeutet sechs Jahre Nachzahlung.

Allerdings ist wichtig: Bei sehr geringem Einkommen wird nur der reduzierte Mindestbeitrag angesetzt. Dieser liegt je nach Jahr bei etwa 200 bis 230 Euro pro Monat inklusive Pflegeversicherung. Auch bei null Einkommen fallen also Beiträge an, aber auf Mindestniveau. Bei fünf Jahren Lücke können dennoch schnell über 13.000 Euro zusammenkommen.

Redaktion:
Wie sieht es aus, wenn jemand stattdessen in eine private Krankenversicherung möchte?

Jörg Engel:
In der privaten Krankenversicherung gibt es keine pauschalen Nachzahlungen für die Vergangenheit. Das klingt zunächst attraktiv. Allerdings gibt es andere Risiken: eine Gesundheitsprüfung, oft hohe Beiträge und kaum soziale Abfederung bei geringem Einkommen. Für viele ist die PKV deshalb finanziell riskanter als die GKV. Der Basistarif steht zwar offen, ist aber teuer und leistungstechnisch begrenzt.

Redaktion:
Was passiert, wenn unklar ist, wie lange jemand tatsächlich unversichert war?

Jörg Engel:

Grundsätzlich trägt die Krankenkasse die Beweislast, wenn sie längere Nachforderungen stellen will. Sie darf nicht einfach schätzen. Kann sie keine belastbaren Belege vorlegen, gilt der plausibel erklärte Zeitraum des Betroffenen. Ohne Nachweise darf also keine pauschale Nachforderung beispielsweise über zehn Jahre erhoben werden.

Wer aber nachweislich einen Wohnsitz in Deutschland hatte, wird in der Regel für die Zeit nachzahlen müssen, die er im Land gemeldet war.

Redaktion:
Können Sie Betroffenen konkret helfen?

Jörg Engel:
Ja. Ich unterstütze Menschen dabei, wieder rechtssicher in eine Krankenversicherung zu kommen, ohne sie finanziell zu überfordern. Dazu gehören individuelle Lösungen, etwa bei Auslandsaufenthalten oder bei der Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung – was gerade für ältere oder ehemals privat Versicherte langfristig oft günstiger ist.

Redaktion:
Vielen Dank für das Gespräch.

Jörg Engel:
Gerne.

Posted by on 23. Dezember 2025.

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Categories: Allgemein

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